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Weit verbreitete Irrtümer

Wie wir anfangen Ungleichheit zu akzeptieren

Ist der Mensch fair oder unfair?

Macht ihn die Gesellschaft besser oder schlechter?

Teilen Kinder mehr als Erwachsene?

Wann beginnen Menschen damit wirtschaftliche Ungleichheiten zu akzeptieren?

Um diese interessanten Fragen geht es in dem folgenden Text.

Doch bevor wird gleich zur Sache kommen starten wir mit einer kurzen Anekdote aus meinem Leben.

Typisch Karneval

In meiner alten Schule hatten wir ein schönes Ritual. An Karneval trafen wir uns alle, so ab der 8. Klasse, am Zülpicher und feierten gemeinsam.

Ja, die Schule war ziemlich klein.

Ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit und noch mehr schöne Dinge leider vergessen, wenn ich meinen Klassenkameraden glauben kann.

Aber an eine Begebenheit erinnere ich mich noch ganz genau.

Es war der Abend des 11.11. in Köln. Ich sah alles ganz undeutlich und verschwommen. In der Hand hielt ich eine große Plastikflasche mit Mischgesüff.

Ich weiß nicht mehr genau wie ich zum Bahnhof gekommen bin oder welcher Bahnhof es war.

Aber eines wusste ich ganz genau. Der nächste Zug, in den ich einsteigen würde, mich sicher vor meine Haustür bringen.

Es ist schon merkwürdig, wenn ich betrunken bin, habe ich oft fixe Ideen und bin dann zu 100% von ihnen überzeugt.

Geht euch das ähnlich?

Naja, jedenfalls ist der Zug natürlich in die falsche Richtung gefahren.

Das habe ich so ca. 30 Minuten nicht gemerkt. Dann hörte ich auf einmal die Stimmen zweier Klassenkameraden: „Ey Laurenz, was machst du denn hier?“

Ein Dorf in der Eifel

Letztlich entpuppte sich meine fixe Idee doch noch als genial.

Da ich nun keine andere Wahl hatte folgte ich den beiden, die ich bis dahin nicht besonders gut kannte, einfach nach Hause.

Besagtes Zuhause lag in einem winzigen Dorf in der Eifel. Ich nenne den Namen lieber nicht, weil ihr sonst alle bestimmt irgendwann dort aufschlagt, um mitzufeiern.

Denn dort ging es damals gut ab, und heute immer noch ab und an.

Es gibt in diesem Dorf zwei größere Familien, die befreundet sind. Eine der Familien hat eine Scheune, die praktisch zu einem Club umgebaut wurde, mit Discokugel, Nebelmaschine und Stroh auf dem Dachboden.

Wenn eine der Familien feierte, feierte die andere automatisch mit. Und wenn beide Familien zusammen feierten, kam auch automatisch die ganz Dorfjugend mit dazu. Und das wiederum zog die Jugend aller umliegenden Dörfer an.

Karneval war ich also zum ersten Mal da, und von da an alle 2 Wochen.

Betrunkene Philosophen

Aber ich war dort natürlich nicht zum Vergnügen.

Ich habe dort auch viel gelernt. Zum Beispiel, dass Jungen umso mehr philosophieren, je betrunkener sie sind. Am Anfang geht’s noch um Frauen, aber irgendwann wird nur noch über den Sinn des Lebens diskutiert.

Ganz anders bei Frauen. Die fangen irgendwann an über alles hysterisch zu lachen.

Das war jedenfalls die Meinung eines Mädchens, dass ich dort kennen gelernt habe.

Und mit ihr habe ich an besagtem Tag die gesamte Nacht durchdiskutiert.

Und ja, das meine ich so wie es hier steht.

Sind Kinder von Natur aus gut?

Wir haben über Gott und die Welt diskutiert.

Aber eine Sache ist mir besonders im Kopf geblieben.

Sie vertrat die Ansicht, dass Kinder von Natur aus selbstlos und fair sind. Mit der Zeit, so argumentierte sie, würden jedoch die Ideale der Leistungsgesellschaft die guten Seelen der Kinder korrumpieren. Unter ständigen Leistungsdruck gestellt würden Kinder Egoismus und unfairere Verhaltensweisen entwickeln.

Kurz: Menschen sind von Natur aus gut. Das Böse im Menschen entstammt der verkommenen Gesellschaft, die den Menschen korrumpiert.

Sie ist nicht die erste, die sich darüber Gedanken gemacht hat. Die Frage, ob der Mensch gut oder schlecht ist, ist so alt wie die Menschheit selbst und unzählige Philosophen haben sich schon darüber die Köpfe zerbrochen. Die konnte sie auch übrigens alle aufzählen.

Ich kannte keinen dieser Philosophen (mir ist nur Rousseau in Erinnerung geblieben). Mein Ansatz war komplett anders.

Im Rest dieses Artikels geht es um die Antwort, die ich ihr gegeben habe.

Wie wir altruistisch werden

Statt endlos zu philosophieren, ist es oft aufschlussreicher Experimente durchzuführen.

Die Theorie besagter Philosophin sagte voraus, dass kleine Kinder selbstlos sind und mit dem Alter immer egoistischer werden.

Gut, dann lass es uns doch einfach testen!

Genau das hatten sich Ernst Fehr, Helen Bernhard und Bettina Rockenbach auch gedacht.

Sie rekrutierten 229 Schweizer Kinder aus diversen Kindergärten und Schulen.

Auch komisch. Stellt euch mal vor ihr wollt euer Kind vom Kindergarten abholen und dann steht da ein alter Mann, der euch fragt, ob er mit eurem Kind ein Experiment durchführen darf.

Naja, es scheint ja funktioniert zu haben.

Die Kinder konnten in ihrem Experiment wählen, ob sie selbst 2 Süßigkeiten, oder ob sie und ein anderes Kind jeweils eine Süßigkeit erhalten.

Vor dem Start des Experiments stellten die Autoren durch mehrere Kontrollfragen sicher, dass die Kinder den Ablauf des Experiments verstanden hatten.

Einfach, oder?

Dieses Experiment haben die Forscher mit Kindern verschiedener Altersgruppen (zwischen 3 und 8) durchgeführt.

Das Ergebnis war das genaue Gegenteil von dem, was die betrunkene Philosophin sich vorgestellt hatte.

Kleine Kinder zwischen 3 und 4 Jahren verhielten sich fast alle egoistisch. Mehr als 90% der Kinder dieses Alters rissen sich beide Süßigkeiten unter den Fingernagel und ließen das andere Kind leer ausgehen.

Bei 5-6-Jährigen waren dagegen schon ca. 20%, also mehr als doppelt so viele, bereit, dem anderen Kind eine Süßigkeit zu gönnen.

Bei 7-8-Jährigen schließlich verdoppelte sich der Wert der Altruisten wieder auf fast 50%.

Dieses Kind ist jünger als 4 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es sich vollkommen schamlos alle Süßigkeiten in Reichweite unter den Nagel reißen wird.

Zurück zur Philosophin

Diese Resultate lassen die Theorie der Philosophin unwahrscheinlich erscheinen. Tatsächlich deuten sie auf das Gegenteil hin. Kleine Kinder sind Egoisten und teilen nicht. Erst mit der Zeit, sei es durch Erziehung, Erfahrungen oder einen natürlichen Reifungsprozess, werden sie (teilweise) zu Altruisten.

Dies bedeutet nicht, dass Menschen in einem „Naturzustand“ egoistisch wären. Es bedeutet auch nicht, dass es nur unserer Gesellschaft zu verdanken ist, dass Kinder zu Altruisten werden.

Es widerlegt aber, dass Menschen als Altruisten auf die Welt kommen, und es spricht in abgeschwächtem Maße auch dagegen, dass Kinder in unserer Gesellschaft zu Egoisten verkommen.

Denn wäre dies der Fall, wäre der Prozentsatz der Altruisten im Zeitverlauf wohl nicht so stark gestiegen.

Diese Ergebnisse wurden im Übrigen in weiteren Studien mit deutlich größeren Teilnehmeranzahlen repliziert (Cappelen et al. 2010).

Akzeptanz von Ungleichheit

Altruismus entwickelt sich also im frühen Kindesalter.

Wie sieht es mit der Akzeptanz von Ungleichheit aus?

Zu diesem Zweck hat ein Wissenschaftler-Team rund um Ingvild Almås eine weitere Studie mit Kindern durchgeführt.

In dieser Studie wurde das Verhalten von etwas älteren Kindern analysiert. Genau genommen handelte es sich um 486 Schulkinder ab der 5. Klasse, die aus 20 verschiedenen norwegischen Schulen rekrutiert wurden.

Die Kinder saßen sie in einem Labor in kleinen abgetrennten Kabinen vor Computern. Das gesamte Experiment war computerisiert.

Zuerst hatten sie die Möglichkeit bei einer Aufgabe Punkte zu verdienen. Die Aufgabe war sehr langweilig, ihnen wurden Zahlen auf dem Bildschirm gezeigt und sie sollten auf alle Zahlen einer bestimmten Art klicken.

Alternativ konnten sie Videos schauen. Dafür gabs aber keine Punkte.

Sie konnten sich also frei einteilen wieviel Zeit sie auf welche Aktivität verwendeten.

Ich hätte keine 5 Minuten an dieser Aufgabe gearbeitet.

Wie siehts bei dir aus?

Die Kinder hatten jedenfalls eine ganz gute Arbeitsmoral. Von den 45 Minuten, die sie auf den Seiten verbringen mussten, arbeiteten sie im Schnitt 42 Minuten.

Somit hatten einige Kinder nach dieser Phase des Experiments mehr Punkte gesammelt als andere. Einerseits dadurch, dass manche besser in der Aufgabe waren als andere. Andererseits dadurch, dass einige mehr arbeiteten während andere nur prokrastinierten.

Nun hatten sich die Experimentatoren aber noch eine Gemeinheit ausgedacht. Für einen zufällig ausgewählten Teil der Kinder waren die Punkte doppelt so viel Wert wie für alle anderen.

Damit hatten die Kinder am Ende verschieden viel Geld verdient. Einerseits lag dies daran, dass sie verschieden fleißig und produktiv waren. Andererseits aber auch daran, dass andere mehr Glück gehabt hatten als andere.

Diktator-Spiele

In der letzten Phase des Experiments wurden die Kinder in Paare aufgeteilt. Jedes Paar bestand aus Kindern der gleichen Altersstufe.

An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, dass die Studie anonymisiert war. Die Kinder wussten also nicht mit welchem anderen Kind sie interagierten. Außerdem haben die Autoren darauf geachtet immer möglichst wenig Kinder einer Schule gleichzeitig ins Labor einzuladen.

Sie wussten aber wie viel Zeit das andere Kind auf der Produktionsseite verbracht hatte, wie viele Punkte das andere Kind dabei gesammelt hatte und wie viel es dadurch verdient hatte.

Jedes Kind wurde so mit 5 anderen Kindern hintereinander gepaart.

Wie sich das anhört 😀

Das Kind selbst sowie sein Partner hatten in der ersten Phase des Experiments Geld verdient. Nun wurden diese beiden Beträge zusammengerechnet und beide Kinder wurden unabhängig voneinander gefragt, wie der Gesamtbetrag unter den beiden aufgeteilt werden sollte.

Beispiel: Kind 1 hat 50 Euro verdient, Kind 2 100 Euro. Dann wurde sowohl Kind 1 als auch Kind 2 gefragt wie die 150 Euro unter Kind 1 und Kind 2 aufgeteilt werden sollten.

Nach dem Experiment wurde für jedes Kind eines der 5 Paare, zu denen es gehört hatte, ausgewählt. Dort wurde dann mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% seine eigene Wunschverteilung oder die Wunschverteilung des Partners ausgewählt.

Die so ausgewählte Verteilung wurde dann wirklich implementiert, das heißt die beiden Kinder bekamen genauso so viel Geld wie das ausgewählte Kind festgelegt hatte.

Dies bedeutet, dass die Entscheidungen der Kinder echte Konsequenzen hatten. Es ging um echtes Geld und die Kinder wussten das auch.

Diese Anreizsetzung ist bei ökonomischen Experimenten Standard und ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Denn bei Entscheidungen, die keine Konsequenzen haben, zum Beispiel Antworten bei Umfragen, wird naturgemäß viel mehr gelogen, als wenn es um etwas geht.

Aus den Entscheidungen der Kinder können wir viel darüber lernen wie altruistisch sie sind und welche Fairness Ideale sie vertreten.

Und darum geht es im Folgenden.

Wie wir altruistisch bleiben

So, alles klar?

Falls nicht, schreibt eure Fragen gerne in die Kommentarsektion.

Ansonsten sind wir bereit die Ergebnisse zu präsentieren:

Ein erstes Resultat knüpft nahtlos an das Hauptresultat der oben besprochenen Studien an.

Altruismus, gemessen durch den Anteil des Gesamteinkommens der dem anderen Kind zugestanden wird, verändert sich zwischen der 5. und der 13. Klasse nicht.

Altruismus scheint also bei 10-11-jährigen „voll“ entwickelt zu sein. Jedenfalls werden Kinder im Durchschnitt ab diesem Alter nicht mehr altruistischer.

Unterschiede im Altruismus zwischen Jungs und Mädels gab es übrigens auch keine.

Drei Ideale

Versetz dich mal in die Position des Kindes. Sagen wir du wirst zunächst mit einem Kind gepaart, dass gar nicht gearbeitet hat. Wie würdest du euer gesamtes erarbeitetes Geld (also dein erarbeitetes Geld) auf euch beide aufteilen?

Nimm jetzt an du triffst auf ein Kind, dass noch mehr gearbeitet hat als du. Wie verteilst du jetzt um?

Die meisten Menschen würden vermutlich dem hart arbeitenden Kind mehr geben als dem faulen Kind. Wieso? Weil sie es fair finden.

Ein solches Fairness Ideal nennt man Meritokratismus. Menschen sollten für ihre Anstrengung belohnt werden.

Nicht hingegen für Ressourcen die sie aufgrund von Glück erhalten haben. Falls du dich nicht erinnerst: Für die Hälfte der Kinder waren erarbeitete Punkte doppelt so viel Wert wie für die andere Hälfte. Wessen Punkte viel Wert waren wurde rein zufällig entschieden.

Ein Meritokrat würde zwei Kinder, die gleich viel gearbeitet haben, aber unterschiedlich viel Geld für ihre Punkte erhalten haben genau gleichbehandeln.

Ein zweites verbreitetes Fairness Ideal ist das egalitäre. Menschen mit einem egalitären Fairness Ideal finden, dass jegliche Form von Ungleichheit ausgeglichen werden sollte.

Vertreter dieses Ideals argumentieren zum Beispiel häufig, es sei eine Form von Glück mit vielen Talenten geboren worden zu sein. Produktivere Menschen seien daher nicht durch ein größeres Stück des Kuchens zu bevorzugen. Aber selbst unterschiedliche Behandlung aufgrund unterschiedlicher Anstrengungen lehnen egalitäre Menschen ab.

Das dritte und letzte Fairness Ideal, dass man in der ökonomischen Forschung standardmäßig betrachtet, ist das libertäre. Libertäre Menschen finden einfach jegliche Ungleichheit gerechtfertigt. Ob sie nun durch Glück, Anstrengung oder Talent entstanden ist.

Diese drei Fairness-Ideale, egalitär, meritokratisch, libertär, wurden allesamt von verschiedenen Philosophen und Denkschulen vertreten. Philosophen versuchen dabei meist durch logisches Schlussfolgern zu begründen, warum ihr Fairness Ideal das einzig richtige ist.

Die Relevanz der Fairness Ideale

Ökonomen sind bescheidener. Sie versuchen herauszufinden welche Fairness Ideale Menschen denn nun tatsächlich vertreten? Wieviel Prozent der Bevölkerung sind denn Meritokraten?

Dies zu wissen ist natürlich extrem wichtig, um eine Wirtschaftsordnung zu kreieren, die vom Volk als fair angesehen wird.

Im Jahre 2007 publizierten einige Ökonomen rund um Alexander Cappelen eine erste deskriptive Studie zu dieser Frage. Sie fanden heraus, dass der größte Teil US-Amerikanischer Studenten Meritokraten sind (Cappelen et al. 2007).

Seitdem wurden hunderte Studien durchgeführt, die versuchen die Fairness Ideale immer neuer Personengruppen zu ergründen.

Dazu werde ich bestimmt auch mal eine Übersicht geben, dies würde aber hier den Rahmen sprengen.

Festzuhalten bleibt, dass Meritokratismus in westlichen Gesellschaften allgemein das am weitesten verbreitete Fairness Ideal ist (Cappelen et al. 2020).

Kleine Kinder sind egalitär

Zurück zu unseren lieben Kleinen.

Wir hatten schon gesehen, dass der Egoismus der Kinder ab der fünften Klasse nicht weiter zurückgeht.

Was sich aber sehr wohl ab der 5. Klasse verändert ist die relative Häufigkeit der verschiedenen Fairness Ideale.

Wie sich zeigte sind die meisten Fünftklässler egalitär. Sie differenzieren nicht zwischen denen die hart gearbeitet haben und denen, die Glück gehabt haben.

Was bedeutet das?

Ein Beispiel:

Sagen wir, ein Kind wird nacheinander mit 2 anderen Kindern gepaart. Sein erster Partner hat sich sehr angestrengt aber Pech bei der Auslosung gehabt und somit insgesamt 100 Euro erarbeitet. Bei dem zweiten Kind war es genau umgekehrt. Es hat sich wenig angestrengt aber Glück gehabt und insgesamt 100 Euro verdient. Das Kind selbst hat 50 Euro verdient.

Fünftklässler wenden nun ein egalitäres Fairnessideal an. Das heißt sie teilen in beiden Situationen den Gesamtbetrag von 150 Euro gleichmäßig auf sich selbst und das andere Kind auf. Jeder bekommt also 75 Euro.

Das gilt auch wenn das Kind, dass die Entscheidung trifft, mehr verdient hat als die anderen beiden.

Ganz wichtig: sie behandeln damit das Kind, welches sich angestrengt hat und das Kind, dass nur Glück hatte, gleich.

Der Siegeszug des Meritokratismus

Die Forscher fanden interessanterweise heraus, dass sich das von der 5. auf die 7. Klasse schlagartig ändert.

Für Siebtklässler spielte es eine viel größere Rolle wie produktiv jemand gewesen war. Sie teilten Faulenzern aber auch Kindern, die einfach nicht gut in der Aufgabe gewesen waren, also deutlich weniger zu.

Dieser Trend setzte sich mit steigendem Alter noch weiter fort. Je älter, desto mehr spielte für die Kinder Produktivität eine Rolle.

In der Sprache der Fairness Ideale war also ab der 7. Klasse der Meritokratismus das am weitesten verbreitete Fairness Ideal. Und von der 7. bis zur 13. Klasse nahm der Anteil der Meritokraten sogar noch weiter zu.

Gleichzeitig ging der Anteil der Egalitären dramatisch zurück, während es in allen Stufen ähnlich viele Libertäre gab.

Hier könnte man nun also wirklich vermuten, dass die Veränderungen, die Kinder ab der 5. Klasse durchmachen, durch Leistungsdruck der Gesellschaft entstehen. Denn unsere Leistungsgesellschaft baut ja gerade auf der Idee auf, dass sich Leistung lohnt.

Wirklich überprüfen lässt sich diese These mit den Daten des Experiments aber leider nicht. Denn dafür bräuchte man als Vergleichsgruppe Kinder, die in einer Nicht-Leistungsgesellschaft aufwachsen.

Wie man eine Party feiert

Fassen wir noch einmal zusammen was wir aus Kinderexperimenten gelernt haben:

  1. Kleine Kinder sind sehr egoistisch
  2. Kinder werden bis zur 5. Klasse deutlich altruistischer
  3. Ab der 5. Klasse werden Kinder nicht mehr wesentlich altruistischer
  4. Die meisten Kinder um die 5. Klasse herum haben ein egalitäres Fairness Ideal
  5. Nach der 5. Klasse geben immer mehr Kinder ihr egalitäres Fairness Ideal auf und werden Meritokraten
  6. Die meisten Erwachsenen sind Meritokraten

So, da haben wir doch heute schonmal einiges gelernt!

Nun gut, soviel zur Wissenschaft.

Falls es euch interessiert wie meine Story ausgegangen ist:

Ich habe der Philosophin von all diesen Studien erzählt und Ideen für neue Forschungsprojekte skizziert bis sie irgendwann eingeschlafen ist.

Quellen:

Almås, Ingvild, et al. „Fairness and the development of inequality acceptance.“ Science 328.5982 (2010): 1176-1178.

Cappelen, Alexander W., et al. „The pluralism of fairness ideals: An experimental approach.“ American Economic Review 97.3 (2007): 818-827.

Cappelen, Alexander W., Ranveig Falch, and Bertil Tungodden. „Fair and Unfair Income Inequality.“ Handbook of Labor, Human Resources and Population Economics (2020): 1-25.

Fehr, Ernst, Helen Bernhard, and Bettina Rockenbach. „Egalitarianism in young children.“ Nature 454.7208 (2008): 1079-1083.

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Propaganda Teil 1: Bekanntheit

Einführung in die Reihe

Propaganda.

Ein Wort, dass im 3. Reich noch ein Synonym für Aufklärung war, ist heute ziemlich negativ konnotiert.

Und wie fast immer tragen die Nazis die Schuld.

Wie dem auch sei.

Propaganda ist ein treffender Begriff für das Thema dieser Reihe.

Ob wir Werbung sehen, die Antifa-Sticker an der Bushaltestelle betrachten, uns die Telegram-Posts von Attila Hildmann reinziehen, die Meinungsspalte in Zeitschriften lesen oder einfach nur unseren Freunden am Stammtisch zuhören – andauernd versuchen uns Menschen davon zu überzeugen, dass ihre Meinung richtig ist und wir sie übernehmen sollten.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Manchmal haben diese Leute recht. Natürlich weiß niemand von uns alles über Politik und wir sind vielleicht gut beraten die Meinung unseres Freundes zu übernehmen. Genauso können Meinungen, die über Zeitungen verbreitet werden, informativ sein und der Aufklärung dienen.

Diese Überlegung wirft eine wichtige Frage auf: Wo hört Aufklärung auf und wo beginnt Propaganda?

Was verstehe ich unter „Propaganda“?

Diese Frage ist, wenn überhaupt, nur sehr schwer zu beantworten. Dies liegt unter anderem daran, dass es auf viele Fragen keine Ja-Nein Antworten geben kann, weil diese auch von Werturteilen abhängen.

Ich versuche daher gar nicht erst gute Aufklärung von schlechter Propaganda zu unterscheiden.

Statt zu unterscheiden, stelle ich vielmehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Dingen fest.

Denn selbst wenn Aufklärung wohlgemeint ist, hat sie dennoch oft manipulative Züge.

Einfachstes Beispiel: Erziehung. Kein gutes Elternteil würde seinem 5-jährigen Sprössling sachlich korrekt die Vor- und Nachteile des Beachtens von Straßenregeln erklären.

Stattdessen wird, strenggenommen, manipuliert.

Es wird gelogen: „Ich merke das, wenn du bei Rot über die Ampel gehst, auch wenn ich nicht da bin.“

Es werden Autoritätsargumente benutzt: „Schau mal, der große Junge da macht das auch so.“

Und es wird auf Emotionen gezielt: „Du willst uns doch nicht enttäuschen, oder?“

Alles eigentlich ziemlich miese Tricks. Über Politiker, die solche Mittel gegenüber der Bevölkerung verwenden, redet man nur mit Verachtung.

Aber glaubt mir, ich bin ziemlich froh, dass mich meine Eltern damals auf diese Weise manipuliert haben. Ihr nicht?

Ich will damit nicht sagen, dass alle Bürger wie Kinder sind. Ich will nur darauf hinaus, dass der manipulative Charakter von Propaganda auch zum Guten genutzt werden kann, zum Beispiel dazu, dass wir uns sinnvolle Verhaltensweisen aneignen. Dort geht die Propaganda dann auch fließend in die Aufklärung über.

Statt also eine zähe Diskussion darüber zu führen, wo man den Schnitt zwischen den beiden zieht, scheint es mir sinnvoller, die manipulativen Methoden zu beleuchten, die beiden Dingen unterliegen.

Worum es hier geht

Wenn ich von Propaganda rede, meine ich also diese Methoden. Tricks, wie das Verweisen auf Autoritäten, mit denen Menschen in ihrem Handeln beeinflusst werden können. Praktisch ein Werkzeugkasten für Manipulierer.

Solche Werkzeuge können für verschiedene Zwecke verwendet werden. Und das werden sie auch. Jeder nutzt solche Techniken täglich und in allen möglichen Situationen. Schließlich wollen wir andauernd Menschen für uns gewinnen. Wir schreiben besonders nette Mails an unsere Chefs und schmeicheln ihnen, häufig sind wir nicht weit vom Lügen entfernt.

Ähnlich ist es beim Flirten. Eigentlich ist Flirten doch nichts anderes als das geschickte Nutzen manipulativer Tricks.

Feilschen ist ein weiteres Beispiel.

Denkt mal drüber nach. Manipulation ist überall.

All dieser Manipulation liegen bestimmte Techniken zu Grunde, die den meisten Menschen intuitiv vertraut sind. Manche Menschen sind sehr gut in der Anwendung, andere eher schlecht.

In dieser Reihe geht es um die Wissenschaft hinter diesen Techniken. Psychologen, Soziologen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen sich schon lange damit.

Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass er nicht zweckgebunden ist.

Ob ihr euer Kind effektiv vor Drogenkonsum schützen, oder das vierte Reich begründen wollt, ich zeige euch wie. 🙂

In jedem Artikel dieser Reihe geht es um ein bestimmtes Werkzeug der Manipulation. Ich stelle wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Mechanismus dar und erkläre anhand dieser Studien wann und wie stark das Werkzeug wirkt.

Und jetzt geht es auch sofort los, mit dem ersten Werkzeug der Reihe: Bekanntheit.

Ein Mann namens Brown

Es war einmal ein Mann namens Walter Smith.

Smith hatte sich ein Ziel gesetzt. Er wollte unbedingt Bürgermeister seiner Heimatstadt werden – Ohio.

Doch es gab ein Problem.

Niemand kannte ihn. Er war ein Neueinsteiger in die Politik. Seine Chancen waren verschwindend gering.

Wie sollte Smith Menschen davon überzeugen ihn zu ihrem Anführer machen, wenn sie ihn noch nicht einmal kennen?

Ganz einfach!

Ohio ist die Stadt der Browns. Kein anderer Nachname wurde von so vielen Bürgermeistern, hohen Richtern und anderen hochrangigen Personen getragen. Mit dem Namen Brown verbinden die Bürger Ohios Kompetenz und Expertise.

Das machte sich Walter Smith zu Nutze.

Kurzerhand änderte er seinen Nachnamen in Brown um.

Die Bürger Ohios bemerkten den Schwindel nicht sondern glaubten, der junge Kandidat gehöre dem alt-ehrwürdigen Geschlecht der Browns tatsächlich an.

War er vielleicht ein entfernter Großneffe von George Brown, dem ehemaligen Bürgermeister?

Ob ihr es glaubt oder nicht, Walter Smith (ähm, ich meine Brown) wurde entgegen aller Erwartungen gewählt.

Die Idee

Diese Anekdote erzählt zumindest Robert Cialdini. Der emeritierte Professor für Psychologie hat jahrzehntelang erforscht wie sich Menschen überzeugen lassen – davon ein Produkt zu kaufen, auf ein date zu gehen oder eben jemanden zu wählen.

Um ehrlich zu sein sind wir nicht sicher, ob sich die Mr. Brown Geschichte wirklich zugetragen hat. Zwar tragen tatsächlich ungewöhnlich viele Führungspersönlichkeiten in Ohio den Namen Brown, doch die Geschichte vom Namenswechsler haben wir nur in Cialdinis Buch gefunden.

Wie auch immer.

Es geht natürlich nicht um das Beispiel.

Hinter der netten Anekdote verbirgt sich eine Idee:

Menschen fühlen sich zu ihnen bekannten Dingen und Menschen hingezogen. Wenn sich Menschen häufig mit etwas auseinandergesetzt haben werden sie im wahrsten Sinne des Wortes damit vertraut.

Also kann man vielleicht nur durch (vermeidliche) Bekanntheit das Vertrauen der Menschen gewinnen.

So waren die Wähler im Beispiel mit dem Namen Brown vertraut. Mr. Smith hat dies erkannt und geschickt für seine Zwecke genutzt.

Nun gut, vielleicht hat Cialdini dieses Beispiel wirklich nur erfunden. Es stellt sich also ein paar Fragen:

Existiert so ein Widererkennungseffekt in der Realität?

Falls ja, wie stark ist er?

Würde so eine „Brown-Strategie“ wirklich funktionieren?

Anekdoten sind gut, Experimente sind besser. Im Folgenden werde ich euch einige (psychologische) Experimente vorstellen, in denen sich dieser Fragen angenommen wurde.

Die Hypothese

Im Jahre 1968 formulierte Robert Boleslaw Zajonc die Mere-Exposure-Hypothese. Nach dieser Hypothese verbessert sich unsere Einstellung gegenüber Dingen dadurch, dass wir ihnen häufiger begegnen.

Dinge können hierbei andere Personen, Orte oder sogar Ideen und Theorien sein.

Was „positiv“ bedeutet erschließt sich aus dem Zusammenhang.

Zum Beispiel finden wir nach dieser Hypothese einen Menschen je attraktiver je öfter wir ihn sehen. Wir finden ein Argument überzeugenden einfach nur dadurch, dass wir es öfter hören. Und wir beurteilen ein Produkt alleine dadurch besser, dass wir häufiger davon hören.

Interessant, oder?

Ich denke diese Idee ist spannend, selbst wenn man davon zum ersten Mal hört. 😉

Die Evidenz

Nun gut, Hypothesen sind dazu da um getestet werden.

Überleg mal, wie würdest du die Mere-Exposure-Hypothese testen?

Eine Möglichkeit bestünde darin Versuchspersonen in ein Labor einzuladen und ihnen dann verschiedene erfundene Wörter (z.B. Ahilog) verschieden oft zu zeigen. Man könnte die Teilnehmer dann bitten nach dem Zeigen anzugeben, wie positiv sie das Wort bewerten.

So hat auch Zajonc tatsächlich seine Hypothese erstmals zu belegen versucht (Zajonc, 1968).

Das Ergebnis: Je häufiger den Teilnehmern ein Wort gezeigt wurde, desto positiver bewerteten sie es.

Aber Vorsicht!

Gerade in älteren Studien wurde nicht immer ganz sauber gearbeitet. Ein großes Problem alter psychologischer Studien sind die Stichprobengrößen.

In der eben erwähnten Studie von Zajonc nahmen gerade einmal 44 Personen teil. Das ist eigentlich viel zu wenig, um Rückschlüsse auf Verhaltensweisen der Bevölkerung ziehen zu können.

Auf dieses Problem werde ich später noch zurückkommen. Aber gut, die Studie ist ein Anfang.

Einen interessanten Beleg für die Hypothese haben Theodore Mita und seine Co-Autoren 1977 geliefert.

Ist euch schon einmal aufgefallen, dass ihr euch selbst ja meistens im Spiegel seht? Wir alle sehen uns anders, als unsere Umwelt uns wahrnimmt, nämlich spiegelverkehrt.

Was denkt ihr besagt nun die Mere-Exposure-Hypothese?

Dass uns unser Spiegelbild besser gefällt als das Original und das dies bei unseren Freunden genau umgekehrt ist!

Und genau das haben die Autoren getestet.

Sie haben Liebespaare in ihr Labor eingeladen. Dort wurden Fotos von je einer Person je Paar gemacht. Beiden Partnern wurde dann das Foto sowie ein gespiegeltes Foto gezeigt.

Beide Personen sollten dann angeben welches Foto sie schöner finden.

Und ihr ahnt es: die fotografierten Personen fanden das gespiegelte Bild schöner, während die Freunde das normale Bild präferierten.

Allerdings: Auch an dieser Studie nahmen recht wenig Subjekte teil, 61, um genau zu sein. Diese geringe Zahl an Teilnehmern führte dazu, dass nicht alle Ergebnisse der Studie statistisch signifikant sind.

Eine Meta-Analyse

So, nun haben wir zwei Studien behandelt, die beide zum selben Ergebnis führen aber beide zu kleine Stichproben verwenden, um aussagekräftige Schlüsse zuzulassen.

Wenn wir die Ergebnisse der Studien irgendwie sinnvoll kombinieren könnten, könnten wir vielleicht verlässlichere Aussagen treffen.

Genau das wird in einer sogenannten Meta-Analyse getan. Dort kombinieren Wissenschaftler die Ergebnisse vieler Studien, die eine bestimmte Hypothese untersuchen.

Eine solche Meta-Analyse wurde 2017 von Matthew Montoya und seinen Co-Autoren durchgeführt. In diese gingen nicht nur die Ergebnisse der beiden oben behandelten Studien ein. Es wurden ganze 81 Forschungsarbeiten verrechnet. Damit basieren die Erkenntnisse der Meta-Analyse auf Experimenten mit tausenden Versuchsteilnehmern, die über viele Jahre in unterschiedlichen Ländern durchgeführt wurden.

Die Autoren fanden heraus, dass die meisten Studien einen signifikanten Mere-Exposure-Effekt nachweisen können.

Dies gilt sowohl für einfache Stimuli wie Wörter, als auch für komplexe Stimuli wie Personen.

Unsere beiden Studien waren also keine Ausnahme, sondern Teil der Regel.

Die Mere-Exposure-Hypothese scheint tatsächlich zu stimmen!

Was bedeutet das für uns?

Kurze Zwischenfrage: wieso sollte man solchen Forschungsarbeiten eigentlich vertrauen?

Einfache Antwort: Weil sie von unabhängigen Fachleuten geschrieben werden und von anderen unabhängigen Fachleuten überprüft werden, bevor sie in einer Fachzeitschrift publiziert werden können. Das nennt man Peer-Review (mehr dazu hier).

Ein Professor hat mir einmal folgende kurze Geschichte dazu erzählt:

Er wollte einen neuen Artikel veröffentlichen. Er hatte eine ganz neue Theorie entwickelt, die einen ganz neuen Blick auf die Welt erschloss. Einer der Prüfer hatte jedoch einiges auszusetzen und verlangte von dem Professor den Artikel stark zu ändern. Der Professor sah dies nicht ein. Er wusste, dass die Kritik des Prüfers unbegründet war. Doch er konnte das dem Prüfer so nicht mitteilen. Das hätte ihn nämlich dumm dastehen lassen und womöglich sein Ehrgefühl verletzt.

Außerdem hatte der Professor eine Vermutung darüber, warum der Prüfer so misstrauisch war. Die Theorie war einfach zu neu, zu anders als alles andere, dass der Prüfer je gesehen hatte. Er reagierte nicht ablehnend auf die Theorie, sondern nur auf deren Neuartigkeit. Der Prüfer musste sich einfach nur an die Theorie des Professors gewöhnen.

Was denkt ihr hat der Professor gemacht?

Er hat dem Prüfer für seine Kritik gedankt, den Titel leicht geändert und die Forschungsarbeit ansonsten vollkommen unverändert einige Wochen später wieder zurückgeschickt.

Diesmal wurde der Artikel vom Prüfer in den höchsten Tönen gelobt und sofort veröffentlicht.

Eine mögliche Erklärung für die veränderte Reaktion des Prüfers ist der Mere-Exposure-Effekt. Bloßes Wiederholen der Nachricht ließ eine wissenschaftliche Theorie in den Augen eines Fachmanns so viel wahrscheinlicher erscheinen, dass es ihn umstimmte.

Woher kommt Mode?

Natürlich ist dies nur ein Beispiel. Und man kann das Verhalten des Prüfers auch sicher anders erklären.

Ich möchte euch hier nur eine Idee dafür geben wie bedeutend dieser Effekt wohl ist.

Denkt mal an Mode. Ich habe mich schon immer gefragt warum man gestern noch für einen bestimmten Style ausgelacht wurde, der heute auf einmal „Mode“ ist. Mir fällt da zum Beispiel der Aufstieg der Anime ein, aber es gibt sicher bessere Beispiele. An was denkst du gerade?

Ich denke, das lässt sich gut durch den Mere-Exposure-Effekt erklären.

Wenn man japanische Animes noch nie gesehen hat, findet man sie zunächst ungewöhnlich und komisch. Diese riesigen runden Augen, die übertriebene Gestik und aus irgendeinem Grund stehen fast immer die Haare der Hauptcharaktere ab.

Man lehnt das Ganze instinktiv ab, weil es unvertraut ist. Doch durch bloßes Wiederholen, dadurch dass man öfter damit konfrontiert wird, findet man die Serien immer sympathischer, bis man nachher mit Ende 20 Fan-Fiction von Dragonball suchtet (dieses hier ist übrigens richtig gut!).

Der Mere-Exposure-Effekt kann also den Aufstieg immer neuer Moden erklären.

Aber auch für ernstere Themen ist der Effekt relevant.

Über Donald Trump und Dating

Der Effekt legt nahe, dass Werbung funktioniert. Schon das wiederholte Zeigen eines Produkts kann uns dazu verleiten es als besser einzustufen.

Dies gilt aber nicht nur für Produkte, sondern auch für Menschen. Wir finden Schauspieler vielleicht nur besonders attraktiv, weil wir sie häufig sehen.

Seht euch mal das folgende Bild von Justin Bieber an. Wenn ihr so wie ich fast nie die neuesten Geschichten von Promis reinzieht, werdet ihr wohl auch nicht verstehen, warum so viele Frauen auf ihn stehen.

Justin Bieber kurz vor seiner Hochzeit.

Dasselbe gilt auch für Politiker. Wir halten berühmte Politiker vielleicht für kompetenter als sie wirklich sind, einfach nur deshalb, weil wir so häufig von ihnen hören.

Dieser Effekt kann wirklich gefährlich für die Demokratie werden, weil Menschen einem Politiker auf diese Weise hörig werden können.

Denkt an Donald Trump und 2016. Er war einfach überall in den Nachrichten. Unabhängig davon, wie er dort dargestellt wurde hat alleine das wohl schon seine Wahl wahrscheinlicher gemacht (Grush et al. 1978, Grush 1980).

Was haben Donald Trump und Dating gemeinsam?

Auf beide wirkt der Mere-Exposure-Effekt!

Während er im Falle Trump wohl eher negative Auswirkungen hatte, ist er für das Dating aber hervorragend.

Fremdgehen ist eine ziemlich widerliche Sache.

Und zurecht regen sich Menschen immer wieder auf, wenn sie mitbekommen, dass jemand in ihrem Umfeld fremdgegangen ist.

Das Erste, das ich in solchen Situationen oft höre, ist: „Das hätte ich nie gedacht“.

Ich aber wundere mich immer darüber, dass Fremdgehen vergleichsweise selten ist. Natürlich gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber alle mit bekannten Zahlen sind recht gering.

Und dabei ist es doch so einfach. Willige Partner gibt es in Städten wie Sand am Meer und mit Dating Apps findet man seinen Sexpartner mittlerweile sehr schnell.

Und mal im Ernst: Niemand hat den schönsten Menschen der Welt als Partner, es gibt immer jemand schöneren. Warum also gehen die Menschen nicht dauernd fremd?

Natürlich gibt es dafür viele Gründe und die Hauptgründe sind sicherlich Liebe und Moralvorstellungen.

Das will ich weder schlecht machen noch klein reden!

Doch auch unser guter Mere-Exposure-Effekt spielt hier eine Rolle.

Über ewige Liebe

Alleine dadurch, dass wir unseren Partner häufig sehen, wirkt er auf uns schöner als auf andere Menschen, und umgekehrt genauso!

Für andere Menschen sieht es also vielleicht so aus als gäbe es auf der Welt eine ganze Menge Singles, die attraktiver sind als unser Partner. Aber für uns ist das nicht so. Wir sind mit dem Gesicht und Körper unseres Partners vertraut, nicht mit dem Äußeren anderer Menschen. Das verschafft unserem Partner einen Boost, der ihn über die Konkurrenz erhebt.

Und umgekehrt bekommen wir auch einen Bonus von unserem Partner im Vergleich mit anderen Singles.

Das schönste aber ist: Je länger wir zusammen sind, desto länger hat der Mere-Exposure-Effekt Zeit zu wirken und umso stärker wird er.

Und so kann es sein, dass ein 90-Jahre alter Mann allen Ernstes vollkommen überzeugt davon ist, dass seine 90-Jahre alte Frau schöner ist als jedes 25-jährige Topmodel.

Schön, oder!

So, und bevor mir jetzt noch mehr pessimistische Beispiel aus der Politik einfallen belassen wir es besser dabei 😉

Denn das ist doch ein wirklich schönes Schlusswort: der Mere-Exposure-Effekt macht ewige Liebe möglich 🙂

Quellen

Grush, Joseph E., Kevin L. McKeough, and Robert F. Ahlering. „Extrapolating laboratory exposure research to actual political elections.“ Journal of Personality and Social Psychology 36.3 (1978): 257.

Grush, Joseph E. „Impact of candidate expenditures, regionality, and prior outcomes on the 1976 Democratic presidential primaries.“ Journal of Personality and Social Psychology 38.2 (1980): 337.

Mita, Theodore H., Marshall Dermer, and Jeffrey Knight. „Reversed facial images and the mere-exposure hypothesis.“ Journal of personality and social psychology 35.8 (1977): 597.

Montoya, R. Matthew, et al. „A re-examination of the mere exposure effect: The influence of repeated exposure on recognition, familiarity, and liking.“ Psychological bulletin 143.5 (2017): 459.

Zajonc, Robert B. „Attitudinal effects of mere exposure.“ Journal of personality and social psychology 9.2p2 (1968): 1.

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