Es ist kein Geheimnis, dass Kinder ihren Eltern meist ähnlich sehen. Große Kinder bringt man häufig korrekterweise mit ihren noch riesigeren Eltern in Verbindung. Andere Kinder kann man ihren Eltern durch seltsame Nasen oder ihre Haarfarbe zuordnen.
Kaum jemand wird bezweifeln, dass dies zum größten Teil an der Genetik liegt. Man kann sich seine Haare zwar färben, aber die natürliche Haarfarbe kann man nur schwer durch Erziehung oder andere Umweltumstände verändern. Bei Körpergröße ist das sogar noch schwerer.
Doch dies sind Eigenschaften, die nur das Erscheinungsbild betreffen. Wie sieht es mit Eigenschaften aus, die nicht direkt erkennbar sind?
Diese Frage werden wir in diesem Artikel am Beispiel der Intelligenz beantworten.
Recap – Was ist Intelligenz?
Ich habe bereits in diesem Artikel eine ausführliche Definition von Intelligenz gegeben. Falls ihr euch den Artikel jetzt nicht ganz geben wollt, hier eine Kurzfassung:
Um die Intelligenz einer Person zu berechnen, gehen Intelligenzforscher folgendermaßen vor: sie lassen die Person erst ganz verschiedene Tests machen die verschiedene Arten von Intelligenz messen sollen (z.B. sprachliche, emotionale oder logische Intelligenz).
Dann kombinieren sie die Ergebnisse aller Tests mit Hilfe statistischer Methoden. Das Ergebnis bezeichnet man als allgemeine Intelligenz oder g-Faktor.
Das interessante ist aber, dass die verschiedenen Arten von Intelligenz stark miteinander korrelieren. Menschen, die eine hohe sprachliche Intelligenz besitzen, besitzen meist auch eine hohe emotionale und logische Intelligenz. Daher liefern zum Beispiel IQ-Tests eine ganz gute erste Schätzung des g-Faktors.
Ist es relevant, ob man einen hohen oder niedrigen g-Faktor hat?
Absolut! Der g-Faktor ist einer der besten Indikatoren für Erfolg im Leben, gemessen etwa durch Einkommen, Bildung oder gesellschaftliche Position (Hier mehr dazu).
Wieso ist das wichtig?
Gut und schön.
Aber sollte es uns interessieren, ob der g-Faktor genetisch bedingt ist?
Auch hier lautet meine Antwort Ja.
Ob Intelligenz vererbt wird oder nicht ist relevant, um beurteilen zu können wir fair und effizient unser Gesellschaftssystem ist.
Soziale Gerechtigkeit ist mehr als ein Wahlkampfmotto der SPD. Wer will schon in einer Gesellschaft leben, die er für ungerecht hält? Sehr wenige Menschen, wie zahlreiche Studien dokumentieren. Wie in diesem Artikel beschrieben, opfern viele Menschen gerne Teile ihres eigenen Vermögens, um die Welt gerechter zu gestalten.
Es scheint ziemlich wahrscheinlich, dass so gut wie jeder für soziale Gerechtigkeit ist. Die Meinungen darüber was gerecht ist gehen jedoch auseinander. Ist es gerecht, wenn Menschen, die mehr arbeiten, auch mehr verdienen als ihre weniger fleißigen Kollegen? Ist es fair, dass talentiertere Menschen besser vergütet werden? Hier gibt es sehr verschiedene Meinungen. Auch darüber mehr in diesem Artikel.
Aber es gibt noch einen Grund dafür, dass Menschen in der Gerechtigkeitsfrage uneins sind, und darum geht es hier. Selbst wenn sie die gleiche Art von Ungleichheit gerecht finden, so haben sie vielleicht verschiedenen Vorstellungen davon wie die existierende Ungleichheit denn nun wirklich entstanden ist.
Korrupt oder Clever?
Ex-President Obama hat Einkommensungleichheit (innerhalb der USA) als „defining challenge of our time“ bezeichnet (Newell, 2013).
Nicht nur er, auch viele andere Politiker und Ökonomen beschäftigen sich mit der Frage wie Ungleichheit reduziert werden kann.
Aber mal ganz provokant gefragt: Wieso sollte Ungleichheit überhaupt reduziert werden? Was ist denn das Problem mit Ungleichheit? Im Ernst, schreibt mir euere größten Probleme mit Ungleichheit gerne in die Kommentare 🙂
Mein Punkt ist folgender: in unserer Gesellschaft wird man, sofern man nicht reich geboren wird, am schnellsten durch gute Ideen wohlhabend. Kluge neue Produkte, clevere Netzwerke, Apps die uns den Alltag erleichtern. Der beste Weg reich zu werden ist es hier eine wirklich gute Idee zu haben, sich selbständig zu machen und dann cleveres Management zu betreiben. Ihr seht schon, Intelligenz ist der Schlüssel.
Und tatsächlich hängt der g-Faktor ja auch sehr stark mit dem Einkommen zusammen (Hier mehr dazu).
Nun, manche Menschen sind nun einmal klüger als andere. Diese klugen Menschen werden auf gute Ideen kommen und reich werden, während ihre weniger intelligenten Nachbarn nicht reich werden.
Auf der anderen Seite schadet es natürlich auch selten reiche Eltern zu haben oder Freunde in Top-Positionen mit denen man zum Beispiel profitable Corona-Maskendeals abschließen kann.
Wir sind uns alle einig darüber, dass es große Einkommens- und Vermögensungleichheiten gibt. Aber wie ist diese Ungleichheit entstanden? Eher dadurch, dass es sehr große Intelligenzunterschiede in der Gesellschaft gibt oder dadurch, dass Vitamin B sehr ungleich verteilt ist?
Ist ersteres der Fall sind die meisten von uns vermutlich eher geneigt Ungleichheit gerecht zu finden und zu akzeptieren. Trifft letzteres zu würden die meisten wohl mehr Umverteilung bevorzugen.
Reiche Eltern oder clevere Kinder?
Ein anderes Beispiel ist soziale Mobilität.
Man hört immer wieder davon, dass Kinder aus Haushalten mit geringem sozioökonomischem Status es selten in die Chefetagen von Unternehmen oder Parteien schaffen.
Aber ist das ungerecht?
Die meisten Menschen würden wohl mit ja antworten, sofern alle Menschen mit den gleichen Anlagen für diese Positionen geboren werden. Ungleichheit muss dann auf Diskriminierung in irgendeiner Form zurückzuführen sein. Sei es durch schlechtere Schulbildung, eine schlechtere Erziehung oder dadurch, dass sie einfach nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden.
Aber jetzt überlegt euch mal Folgendes: die Allgemeine Intelligenz hängt sehr eng mit dem eigenen sozioökonomischen Status im Erwachsenenalter zusammen (hier mehr dazu). Das heißt, die Chefetagen werden typischerweise von intelligenten Menschen besetzt (auch wenn man das manchmal nur schwer glauben kann).
Nehmen wir einmal an Intelligenz ist zu 100% genetisch bedingt, genauso wie alle anderen Eigenschaften des Menschen. Söhne sind damit praktisch perfekte Kopien ihrer Väter, Töchter perfekte Kopien ihrer Mütter. Es ist so als würden sich Menschen einfach klonen, oder als würden sie ewig leben.
Wenn nun Unternehmen und Parteien nur nach Leistung selektieren, dann werden sie alle Kinder genauso behandeln, wie sie eine Generation zuvor ihre Eltern behandelt haben. Die Kinder der erfolgreichen Eltern werden erfolgreich sein, wenig erfolgreiche Eltern werden wenig erfolgreiche Kinder haben. Dies hat aber nichts mit Diskriminierung zu tun. Es liegt daran, dass Kinder und Eltern gleich sind und gewinnmaximierende Unternehmen Gleiches gleich behandeln.
Unter solchen Bedingungen würden vermutlich weniger Menschen sagen, dass die soziale Mobilität gesteigert werden muss. In dieser Welt führt eine Leistungsgesellschaft automatisch dazu, dass es keine soziale Mobilität geben kann.
Damit will ich natürlich nicht sagen, dass man sich damit abfinden muss, dass weniger intelligente Menschen wenig verdienen. Es gibt gute Gründe für Umverteilung, selbst wenn Intelligenz zu 100% genetisch bedingt ist. Aber wenn der g-Faktor nur durch Erziehung zustande käme gäbe es noch einen guten zusätzlichen Grund. In dieser Welt sollte die Umverteilung optimalerweise also stärker ausgeprägt sein als in einer Welt des genetischen Determinismus.
Um also beurteilen zu können welche Politikmaßnahmen gerecht sind müssen wir herausfinden in welcher dieser Welten wir leben. Und dafür müssen wir wissen, ob Intelligenz nun vererbbar ist oder nicht.
Wie untersucht man das?
Stellt euch mal vor ihr solltet herausfinden zu welchem Anteil der g-Faktor vererbbar ist. Was würdet ihr tun?
Gar nicht so einfach, oder?
Man könnte zum Beispiel einfach Kinder aus ganz verschiedenen Elternhäusern entführen und sie alle zusammen in einer Kommune im Amazonasgebiet aufziehen. Alle bekommen die gleiche Bildung. Dann vergleicht man nach 20 Jahren die g-Faktoren der Kinder untereinander und mit denen ihrer Eltern. Wenn die Kinder genau die gleichen g-Faktoren haben wie ihre Eltern, ist die Umwelt wohl recht irrelevant. Wenn die Kinder alle die gleichen g-Faktoren haben, ist Genetik wohl egal.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Dritte Reich oder die UdSSR so ein Experiment mal in Erwägung gezogen hat. Heutzutage haben es Forscher aber immer schwerer Ethik-Kommissionen von solchen Vorhaben zu überzeugen.
Stattdessen greifen sie auf einen schlauen Trick zurück.
Es gibt zwei Arten von Zwillingen. Eineiige Zwillinge haben identisches Genmaterial. Bei Zweieiigen Zwillingen ist das Genmaterial nur zur Hälfte gleich.
Sagen wir mal die Zwillinge wachsen in der gleichen Familie, also unter sehr ähnlichen Umständen, auf. Das ist ja zum Glück meistens der Fall.
Wenn Genetik irrelevant ist, sollte der Unterschied in der Intelligenz zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen gleich groß sein. Eineiige Zwillinge sind sich zwar genetisch ähnlicher, aber Genetik ist ja per Annahme egal.
Eine größere Ähnlichkeit zwischen eineiigen Zwillingen deutet also auf einen Einfluss des genetischen Materials hin.
Dann gibt es auch leider Zwillinge, die adoptiert werden und in verschiedenen Familien aufwachsen. Hier sind die Umweltbedingungen verschieden aber das genetische Material ist identisch bzw. zur Hälfte identisch.
Dadurch dass man eineiige und zweieiigen Zwillinge vergleicht und dabei berücksichtigt ob die Zwillinge zusammen oder getrennt aufgewachsen sind ist es also möglich zu erschließen wie wichtig Genetik und Umweltfaktoren für die Intelligenz sind (Knopik et al. 2016).
Die Ergebnisse
Genetik als Erklärung für Unterschiede in der Intelligenz anzuführen war in der 1970ern und 1980ern verrufen und Forscher, die es dennoch wagten, solche Studien durchzuführen wurden nicht selten angefeindet (Plomin und von Stumm 2018).
Dies hatte jedoch auch den positiven Effekt, dass Forscher sehr sauber arbeiten mussten, um ihre Ergebnisse zu diesem Thema veröffentlichen zu können. Entsprechend haben die letzten Jahrzehnte eine Reihe von sauberen Zwillingsstudien ergeben, teilweise mit mehreren tausend Zwillingen.
Mittlerweile existieren verschiedene Meta-Studien in denen Daten aus all diesen Studien kombiniert werden. All diese Meta-Studien kommen zu dem Ergebnis, dass recht genau 50% der Intelligenz vererbt ist (Knopik et al. 2016).
Intelligenz ist also zur Hälfte vererbt und zur anderen Hälfte umweltbedingt.
Das ist also schon die Antwort. Es ist zwar nur eine Zahl aber diese Zahl hat es in sich.
Was bedeutet das für uns?
Wenn ihr euch eine eindeutige Antwort erhofft hattet muss ich euch also leider enttäuschen.
Wir leben weder in einer Welt, in der die Intelligenz genetisch determiniert wird, noch in einer Welt in der sie ausschließlich durch Erziehung bestimmt wird. Wir leben in einer Mischwelt die ziemlich genau auf halber Strecke zwischen diesen beiden Extremen liegt.
Ein großer Teil der Ungleichheit in der Gesellschaft ist also wirklich darauf zurückzuführen, dass manche Menschen einfach intelligenter sind als andere.
Beispiel Sowjetunion: der alte Erzfeind des Westens war keine Leistungsgesellschaft. Entsprechend zeigen Studien, dass Bildung und beruflicher Status in diesem Staat eher schwach mit Intelligenz korreliert waren. Die Intelligenten erhielten im System der Sowjetunion also mehr Bildung als die weniger intelligenten und sie wurden anschließend auch eher Wissenschaftler oder Politiker. Aber der Zusammenhang war nicht sonderlich stark. Auch viele weniger intelligente schafften es an die besten Unis des Landes (Rimfeld et al. 2016).
Dies änderte sich nach der Wende. Estland zum Beispiel kehrte dem alten System rasch den Rücken und wurde mehr wie seine westlichen Nachbarn zu einer Leistungsgesellschaft.
Und tatsächliche wurde der Zusammenhang zwischen Intelligenz, Bildung und Berufswahl in der Folge auch deutlich enger und ist nun doppelt so stark wie zu Sowjet-Zeiten.
Dies legt nahe, dass unser System der Leistungsgesellschaft dafür sorgt, dass die Intelligenten Erfolg haben. Ob das gut ist, ist eine andere Frage,
aber es wäre ein Fehler diese Einsicht zu ignorieren.
Wie gut sind Privatschulen?
Ein ähnlicher Punkt muss bezüglich sozialer Mobilität gemacht werden. Häufig hört man davon, dass Kinder, die auf Privatschulen gehen, einen unfairen Vorteil haben und deswegen später besonders gut abschneiden.
Dies stimmt sicherlich zu einem Teil, aber es ist nur die halbe Wahrheit.
Ein Forscherteam um Emily Smith-Woolley hat nämlich herausgefunden, dass Kinder die Privatschulen besuchen überdurchschnittlich intelligent sind (Smith-Woolley et al. 2018).
Dies passt zu der Idee, dass wohlhabende Menschen überdurchschnittlich intelligent sind und wegen der Erblichkeit von Intelligenz auch besonders intelligente Kinder haben.
Schüler aus Privatschulen sind also nicht nur deshalb erfolgreich, weil sie bessere Bildung erhalten. Sie wären auch erfolgreicher als andere Kinder, wenn sie auf öffentliche Schulen gehen würden.
Diese Information ist übrigens auch wichtig für dich, falls du gerade darüber nachdenkst ob du dein Kind auf eine Privatschule stecken sollst. Der Vorteil, den das Kind dadurch erhält ist vermutlich kleiner als du dachtest.
Aber so einen Vorteil hat dein Kind wahrscheinlich gar nicht nötig. Du liest dir immerhin in deiner Freizeit wissenschaftliche Artikel von höchster Qualität durch. Du musst also einen ziemlich hohen g-Faktor besitzen. Und wie wir gerade gelernt haben, sind deine Kinder daher mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls super clever. 🙂
Quellen:
Newell, Jim. Obama: income inequality is ‚defining challenge of our time‘ – live. In: The Guardian, 2013. https://www.theguardian.com/world/2013/dec/04/obama-income-inequality-minimum-wage-live (Aufgerufen am 15.06.2021)
Knopik, Valerie S., et al. Behavioral genetics. Macmillan Higher Education, 2016.
Plomin, Robert, and Sophie von Stumm. „The new genetics of intelligence.“ Nature Reviews Genetics 19.3 (2018): 148.
Behavior Genetics Association 46th Annual Meeting Abstracts. Rimfeld, K., Trzaskowski, M., Esko, T., Metspalu, A. & Plomin, R. Genetic influence on educational attainment and occupational status during and after the Soviet era in Estonia [abstract]. Behav. Genet. 46, 803 (2016)
Smith-Woolley, Emily, et al. „Differences in exam performance between pupils attending selective and non-selective schools mirror the genetic differences between them.“ npj Science of Learning 3.1 (2018): 1-7.